9. November 1938 - 9. November 2923 - 17 Uhr St. Lambertus, Kirchplatz u. Bolbecer Platz Ostercappeln
Rosa Heumann (Foto um 1920)
9. November 2023 - 17 Uhr St. Lambertus , Kirchplatz Ostercappeln
Israel und Deutschland - Wir kommen zusammen vor dem „Ewigen Licht“
O S T E R C A P P E L N „Starkes Dorf e.V.“ - Spes-Viva Chor
Friede erfüllet Stadt und Land Be still my soul Möge die Straße uns zusammen führen (ab 2. Strophe gemeinsam mit den Besuchern) Pilger sind wir Menschen Chalom Chaverim (vor der Stele) ab 2. Strophe mit den Besuchern
Die Familie Stern aus Ostercappeln 1923 Das Bild verdanken wir Frau Esther Goldschmidt – Es wird vergrößert auf einer Staffelei gezeigt!
9. November 2023 – 17 Uhr – St. Lambertus Kirche
Programmfolge: ab 17 Uhr
1. Liedbeitrag – Chor Spes-Viva
2. Einführung (Kahlert)
„Friede sei mit Euch!“ „Wir stehen heute Abend vor dem `Ewigen Licht´, das seit Urmenschen Gedenken in den Synagogen vor dem Thora Schrein und seit dem 14. Jahrhundert in Kirchen vor dem Tabernakel auf die Wahrheit hinweist“.
„Die Ereignisse vor 85 Jahren lassen uns an Jüdisches Leben in Ostercappeln erinnern, aber heute auch den Blick auf die Kriege in Israel und der Ukraine richten und Antisemitismus sowie -judaismus weltweit, gerade auch bei uns wieder schmerzhaft wahrnehmen. Schrecklich, Juden haben wieder Angst, auch bei uns in Deutschland.
Lügen, Falschmeldungen und Wahrheit scheinen sich gegenwärtig im Netz zusammen gefunden zu haben; eine trennende Wand zwischen beiden ist in der digitalen Welt nicht mehr erkennbar. Nur tatsächlich physische Begegnungen finden die Wahrheit, wenn sich Menschen dabei in die Augen blicken.
Meine Generation hat sich nach dem Schrecken des Holocaust auf den Weg gemacht, den Opfern ihren Namen zurückzugeben und ihre Geschichten zu erzählen, hat aber jetzt das Gefühl eine Brücke gebaut zu haben, bei der wir auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses ein Niemandsland vorfinden. Hier liegt die neue Aufgabe für unsere Jugend, die Arbeit fortzusetzen. Dafür gibt es Mut machende Gegebenheiten in unserm Wittlager Land:
Vorbildlich hat dies Sophie-Michelle Pohlmeyer geschafft als sie ihre Lernerfahrungen aus dem Gymnasium Bad Essen umsetzt und aus Australien Lana mit Marc Zuker, Nachfahren der jüdischen Familie Stern, der Rosa Heumann angehört, bei sich zu Hause in Bohmte eingeladen hat.
Beruhigt wissen wir, dass Yuval Ben Ner und Amos Kleczewski, die 2018 Ostercappeln besuchten, mit ihren Familien, Nachfahren von Josef und Helene Meyer, in Magshimim bisher von den Gewalttaten in Israel direkt nicht betroffen sind, doch wissen wir, welche große Sorgen und Ängste sie ertragen müssen. Mit gleichen Erfahrungen aus dem Gymnasium Bad Essen hat sich Lea Hagen aus Lintorf nach dem Abitur auf den Weg nach Israel gemacht und dort Kontakte zu diesen Nachfahren von Josef und Helene Meyer aufgenommen. Wir danken den Lehrern unserer Ludwig-Windthorst Schule, die ihren Schülern unterschiedlicher Länder, Kulturen und Religionen die Wahrheit vermitteln müssen, wenn sie mit den „neunten Klassen“ im Innenhof des Seniorenheims Caselato an der Windthorststraße stets im Januar zum Holocausttag an die Opfer des deutschen Nationalsozialismus erinnern. Eine herauszufordernde Arbeit, keineswegs selbstverständlich!
Aus Flensburg hat Esther Goldschmidt anlässlich einer weltweiten und auch in Deutschland zunehmenden Bedrohung der Juden für uns ein Gedicht geschrieben, das gleich von Dr. Brigitte Schäfer-Schwartze vorgetragen wird. 3. Liedbeitrag – Chor Spes Viva
4. Gedicht (vorgetragen von Dr. Brigitte Schäfer-Schwartze)
Esther Goldschmidt, ehemals Lehrerin in Schleswig-Holstein, ist Nachfahrin der jüdischen Familie Stern aus Ostercappeln. Mehrfach weilte sie hier und lebt heute als Künstlerin und Dichterin in Flensburg. Sie hat dieses Gedicht direkt für uns vor einer Woche geschrieben:
„Ich möchte mit einigen Worten aus dem Jahr 2021 beginnen, als ich bei der Stolpersteinverlegung dabei sein konnte.
Vergessenwollen oder gar Leugnen, kein Interesse zeigen, das Nichthinschauen wollen, wird nicht zur seelischen Befreiung führen“.
„Ich schaue also auf unsere Welt:
Ich hätte gern den Traum getauscht. Bitte Nicht diesen Alb! Immer und immer wieder.
Da war etwas. Meine Gedanken sind kraus. Vergessen. Schade.
Da war etwas. Da ist etwas? Meine Gedanken sind kraus. Blass erinnert.
Fast vergessen, verdrängt. Die Gegenwart schreit. Furcht beschleicht mich.
Nein, Ich will nicht. Hoffnungslosigkeit Hat sich eingeschlichen.
Ich hätte gern den Traum getauscht. Bitte Nicht diesen Alb! Immer und immer wieder.“ Esther Goldschmidt
6. Das Leben der Rosa Heumann, geb. Stern aus Ostercappeln (vorgetragen von Mechthild Koll)
Rosa Heumann wird als zweite Tochter des Julius Stern und seiner Frau Adolphine, geb. Bloch am 11. Juli 1880 in Ostercappeln geboren. Sie besucht hier die Volksschule und heiratet vor dem Ostercappelner Standesbeamten Többen am 6. Juli 1906 laut Urkunde als „Haustochter“ den Kaufmann Otto Heumann aus Massenberg, Kreis Heinsberg bei Aachen. Trauzeugen sind der Onkel Adolph Bloch aus Vechta und der Ostercappelner Gärtnermeister Heinrich Erdwien. Das junge Paar nimmt Wohnung in Essen/Ruhr, wo auch ihre beiden Söhne Walter 1907 und Kurt 1914 (verstorben 22. 8. 1984 in Israel) geboren werden. Otto Heumann führt hier eine Schusterei und ein Schuhgeschäft. Im Sommer 1914 wird Otto Heumann als Soldat im Ersten Weltkrieg eingezogen. Bereits 1915 fällt er in Pietre, Provinz Salermo, in Italien. Rosa steht nun mit den beiden Jungen im Alter von acht und einem Jahr allein da.
Am 29. 8. 1919 heiratet sie ihren Schwager Moritz Heumann in Essen, der zunächst das Schuhgeschäft seines verstorbenen Bruders übernimmt; bald zieht die Familie nach Gelsenkirchen, wo Rosas dritter Sohn Uri (erkundigt sich 1955 bei Yad Vashem nach seiner Mutter Rosa) geboren wird. Über das Schicksal des Sohnes Walter ist nichts bekannt. Rosas Ehemann Moritz Heumann stirbt laut Stadtarchiv Essen im Jahr 1929. Zu diesem Zeitpunkt leben bei Rosa Heumann nur noch die Söhne Kurt im Alter von 15 und Uri mit 9 Jahren. Beide verlassen nach Machtübernahme Hitlers bis 1934 Deutschland .
Am 7. Dezember 1935 verzieht Rosa Heumann aus Gelsenkirchen und meldet sich (laut Herrn Telgkämper +) in Bohmte an, wo ihr Bruder Sigmund Stern mit seiner Frau Karoline und deren Töchter Else und Grete leben. Dort wohnt sie offenbar völlig zurückgezogen. Möglicherweise hat sie bei der Pflege ihres Vaters Julius Stern geholfen (+ 22. Februar 1939 in Bohmte, bestattet in Osnabrück). Kaum einer kennt Rosa hier.
Am 27. Dezember 1938 (fast 7 Wochen nach den Novemberpogromen in Deutschland) flüchtet Rosa abenteuerlich über die „Grüne Grenze“ nach Almelo, Hofkampstraße 28. Die Grenze zu den Niederlanden war da bereits für Deutsche am 15. Dezember 38 geschlossen worden.
Nach dem Überfall der Deutschen auf die Niederlande am 10. Mai 1940 beginnt für die dorthin geflüchteten Juden ein erneutes Martyrium. Von Rosa Heumann erfahren wir erst wieder aus einer der tausenden Transportlisten, als sie am 20. Juli 1943 unter Nr. 87 von Westerbork nach Sobibor in einem Güterwagen rollt.
Können wir uns eine solche Fahrt vorstellen?
Am 23. 7. kommt Rosa in Ostpolen, in Sobibor an, die Schiebetür wird aufgerissen, die Menschen werden aus dem Waggon getrieben und mit Maschinengewehren sofort erschossen.
7. Liedbeitrag – Chor Spes-Viva
8. Nelly Sachs - Chor der Geretteten (Vorgetragen von Dr. Brigitte Schäfer-Schwartze)
Wir Geretteten,
Aus deren hohlem Gebein der Tod schon seine Flöten schnitt,
An deren Sehnen der Tod schon seinen Bogen strich -
Unsere Leiber klagen noch nach
Mit ihrer verstümmelten Musik.
Wir Geretteten,
Immer noch hängen die Schlingen für unsere Hälse gedreht
Vor uns in der blauen Luft -
Immer noch füllen sich die Stundenuhren mit unserem tropfenden Blut.
Wir Geretteten,
Immer noch essen an uns die Würmer der Angst.
Unser Gestirn ist vergraben im Staub.
Wir Geretteten
Bitten euch:
Zeigt uns langsam eure Sonne.
Führt uns von Stern zu Stern im Schritt.
Lasst uns das Leben leise wieder lernen.
Es könnte sonst eines Vogels Lied,
Das Füllen des Eimers am Brunnen
Unseren schlecht versiegelten Schmerz aufbrechen lassen
Und uns wegschäumen -
Wir bitten euch:
Zeigt uns noch nicht einen beißenden Hund -
Es könnte sein, es könnte sein
Dass wir zu Staub zerfallen -
Vor euren Augen zerfallen in Staub.
Was hält denn unsere Webe zusammen?
Wir bodemlos gewordene, Deren Seele zu Ihm floh aus der Mitternacht Lange bevor man unseren Leib rettete In die Arche des Augenblicks.
Wir Geretteten,
Wir drücken eure Hand,
Wir erkennen euer Auge -
Aber zusammen hält uns nur noch der Abschied,
Der Abschied im Staub
Hält uns mit euch zusammen.
9. Wir verlassen gegen 17:45 Uhr schweigend die Kirche, begeben uns zur Stele am Bolbecer Platz. Unterwegs werden Namen der von den Nazis umgebrachten Juden aus Otercappeln aufgerufen! *) vor der Stele sprechen wir gemeinsam das „Gebet der Vereinten Nationen“
10. Chor: Schalom – Chaverim, nach der ersten Strophe alle gemeinsam.
„Allen wünschen wir einen schönen Abend und einen sicheren Heimweg“!
*) Namen der von den Nationalsozialisten ermodeten 21 Ostercappelner Bürger
Ida Grünberg
Siegmund Stern
Frieda Weinberg
Rosa Grünberg
Frida Akker
Miriam Kleeberg
Dora Löwenstein
Rosa Heumann
Ida van Geldern
Else Hesse
Minna Spiegel
Johanna Leib
Helene Basch
Julie Wesermann
Fina Goldschmidt
Josef und Helene Meyer
Hugo und Erna Meyer
Ruth und Hans Meyer
Franz Riepe
Sie alle sind in Ostercappeln geboren oder haben über einen langen Zeitraum ihres Lebens in Ostercappeln gewohnt.
Bild zur Meldung: Jüdische Familie Stern - Ostercappeln um 1926